Chinoise Einflüsse im Gartenreich Dessau-Wörlitz
Das Interesse an China, vielmehr jedoch an chinesischem oder chinoisem Kunsthandwerk hatten schon die Urgroßeltern des Fürsten Franz, Johann Georg II. (1627–1693) und Henriette Catharina (1637–1708), beim Bau des Oranienbaumer Schlosses gezeigt, als sie es mit großen Mengen an chinesischem Porzellan und chinesischen Lackmöbeln ausstatteten und chinoise Szenen an die Wandpaneele malen ließen. Henriette Catharina, eine geborene Prinzessin von Oranien-Nassau, pflegte enge Verbindungen mit ihrer niederländischen Heimat. Niederländische Kaufleute hatten 1602 die ostindische Kompanie gegründet und besaßen im 17. Jahrhundert die Vormachtstellung im europäischen Ostasienhandel.
Chinoiserie ist eine an chinesischen Vorbildern orientierte Richtung der europäischen Kunst und wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts populär. Die China-Begeisterung speiste sich sowohl aus Interesse am Exotischen als auch aus der Vorstellung an der vermeintlich heilen Welt der Chinesen. Diese Tradition setzte Fürst Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) fort. Seine Vorliebe für den chinesischen Stil war durch den englischen Architekten Sir William Chambers (1723–1796) entfacht worden, der selbst China (Kanton) bereist und hier die Architekturen skizziert und später publiziert hatte.
1767 hat Fürst Franz von Anhalt-Dessau bereits die zwei Räume neben dem Festsaal im Oranienbaumer Schloss mit Leinwandtapeten ausgestattet, die chinesischen Tapeten nachempfunden waren. Mit zwei Räumen 1773 im Wörlitzer Schloss und ab 1795 mit der Anlage des englisch-chinesischen Gartens mit Teehaus und Pagode hat Fürst Franz seiner China-Begeisterung im Oranienbaumer Garten ein weiteres Mal Ausdruck verliehen. Das Chinesische Haus als Kernstück der chinesischen Partie wurde durch den Bauleiter Georg Christoph Hesekiel (1732–1818) errichtet. Die theoretische Grundlage für diese Gestaltungen bildeten die Publikationen „Designs of Chinese Buildings und „Dissertation on Oriental Gardening von Sir William Chambers. Heute gilt der englisch-chinesische Garten als der einzig erhaltene dieser Art in Deutschland.
Zu den heute ebenfalls noch erhaltenen Bauwerken der Chinamode im Gartenreich zählt auch der chinesische Pavillon im Schlosspark Mosigkau, den die Tante des Fürsten Franz, Anna Wilhelmine von Anhalt-Dessau (1715–1780), um 1775 hatte erbauen lassen.
Rekonstruktion der sogenannten „Nickfigur” einer alten Chinesin für das Chinesische Haus in Oranienbaum
Nachdem die fünfgeschossige Pagode, im Volksmund „Glockenturm” genannt, bereits Anfang der 1990er Jahre restauriert wurde, hat ab 2009 auch das Chinesische Haus seine historische äußere Gestalt und Farbigkeit zurückgewonnen. Durch umfängliche Maßnahmen am Stuckfußboden, der Rekonstruktion bzw. Nachbildung der Tapeten und Lampions sowie der Restaurierung des noch vorhandenen Mobiliars wurde auch der ursprünglich beabsichtige Raumeindruck im Inneren wieder lebendig. Eine vorerst letzte Maßnahme stellt nun die Rekonstruktion einer 1,40 m hohen Statuette einer sogenannten nickenden Chinesin dar.
Ursprünglich befanden sich in den südlichen Raumecken des Mittelraums auf hölzernen Podesten lebensecht bemalte keramische Statuen eines alten chinesischen Mannes und einer alten Frau. Derartige Nickfiguren wurden in China in großer Zahl für den Export nach Europa hergestellt. Die Körper und die Köpfe wurden aus Ton gefertigt, der in Formen gedrückt, aber nicht gebrannt wurde. Nach dem Trocknen wurden sie individuell und sehr aufwändig bemalt. Die Köpfe wurden so beweglich eingebaut, dass sie leicht zum Nicken gebracht werden konnten. Solche Nickfiguren stellten die verschiedensten Menschentypen vom Kuli bis zum Kaiser dar. Leider sind die Originale aus Oranienbaum im oder in Folge des Zweiten Weltkrieges unwiederbringlich verloren gegangen.
Einziger Anhaltspunkt für die Rekonstruktion der Nickfiguren sind historische Fotos aus dem Chinesischen Haus, mit deren Hilfe nach vergleichbaren Beispielen gesucht werden konnte. Im Rijksmuseum in Amsterdam wurde schließlich eine gleich aussehende Statue der älteren Frau ausfindig gemacht. Dankenswerterweise hat das Rijksmuseum einer fototechnischen Erfassung der Statuette zugestimmt, so dass sie durch einen Bildhauer nun für das Chinesische Haus nachgefertigt werden konnte. Die Arbeiten wurden 2016 und 2017 realisiert. Damit ist ein verloren gegangenes Ausstattungsstück wieder ersetzt worden. Das Ergebnis verdeutlicht, wie einzigartig und stimmig die Grundausstattung des Gebäudes einst gewesen ist.
Geöffnete Türen
Das Chinesische Haus kann zu folgenden Terminen jeweils von 11.00 bis 16.00 Uhr besichtigt werden:
21. Mai 2017 (Internationaler Museumstag)
04. Juni 2017 (UNESCO-Welterbetag)
12. August 2017 (Gartenreichtag)
10. September 2017 (Tag des offenen Denkmals)
Darüber hinaus sind nach Anmeldung jederzeit auch Gruppenführungen möglich (Tel.: 034904–20259, E-Mail
schloss-oranienbaum@ksdw.de). Des Weiteren bietet die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz museumspädagogisches Material für Kinder zur Chinoiserie im Gartenreich an, das auch zum Besuch anderer Schlösser mit chinoiser Ausstattung anregt.
Finanzielle Unterstützung und Arbeitsschritte bei der Restaurierung des Chinesischen Hauses
Dank der finanziellen Unterstützung der Europäischen Union, des Bundes sowie des Landes Sachsen-Anhalt, die Gelder im Rahmen des Kulturinvestitionsprogramms des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und im Rahmen des Leuchtturmprogrammes beisteuerten, erfolgte ab 2009 die lang erhoffte Restaurierung des Hauses.
Arbeitsschritte:
2009 - Einrüstung, Fassade, Dachstuhl, Dacheindeckung
2010 - Farbfassung Dach, Dachklempnerarbeiten, Wandbilder, Deckenbild, Deckenputz, Wandfassung, Türen
2011 - Fußboden, Tapetenrahmen, Freitreppe, Wandnischen Mittelraum, Rekonstruktion Lampions
2012 - Beendigung der Fußbodenarbeiten, Teilrückbau Rüstung, Vorbereitungen zu weiteren Leistungen für die Innengestaltung
2013 - Beginn Konservierung und Restaurierung der Tapetenfragmente. Beginn der Möbelrestaurierung, abschließende Arbeiten am auf einer Metallkonstruktion ruhenden Umgang des Hauses
2014 - Abschluss der Tapetenrestaurierung, Nachschöpfung der fehlenden Tapeten, Scannen und digitale Bearbeitung von Tapeten aus den Schlössern Paretz und Wörlitz sowie Neuschöpfungen der konservierten bauzeitlichen Tapeten, Beendigung der Möbelrestaurierung
2015 - Nachdruck der Tapeten, Einbau der Nachdrucke, Restaurierung der Polster auf den Möbeln, Papierrestaurierung an den Füllungen des Wandschirmes
2017 - Fertigstellung Nickfigur
Kosten: 1,3 Millionen Euro