Das Gotische Haus
Nach der Fertigstellung des öffentlich zugänglichen Schlosses in Wörlitz im Jahr 1773 begann Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) mit dem Bau des Gotischen Hauses, das er vier Jahrzehnte lang fortwährend ergänzte. Das Bauwerk gehört heute zu den ältesten weitgehend original erhaltenen Architekturen der Neugotik in Europa. Für das Haus waren neugotische Einflüsse aus England, wie der Landsitz Strawberry Hill, prägend. In dem privaten Domizil lebte Fürst Franz seine ganz familiäre Vorliebe und persönliche Sammelleidenschaft aus. Und auch mit letzterer war er seinen Zeitgenossen mindestens um eine Nasenlänge voraus. Inmitten gotischer Architektur versammelte er alte Kunst, um maßgeblich auf die dynastischen Verflechtungen seiner Familie mit der Reichsgeschichte hinzuweisen. Es entstand eine Art Kunstkammer mit einem weitreichenden politischen und religiösen Programm, das bis heute nicht vollständig entschlüsselt ist.
Die Gemäldesammlung des Fürsten Franz
Die Rückbesinnung auf die altdeutsche Malerei setzte in Deutschland im Allgemeinen erst nach 1800 im Zeitalter der Romantik ein. Im 18. Jahrhundert war das Augenmerk deutscher Fürsten wie in Dresden oder Potsdam noch auf italienische, niederländische und französische Maler gerichtet. Dagegen hat der anhalt-dessauische Fürst bereits zwanzig Jahre zuvor altdeutsche Kunst in großer Zahl in seinem Gotischen Haus zusammengetragen. Er galt als ein Experte auf diesem Gebiet. Von Zeitgenossen wird der aufgeklärte Fürst dafür gerühmt, hier wie auch auf anderen Feldern, eine kulturelle Vorreiterrolle gespielt zu haben.
Das Cranachjahr 2015
Im Cranachjahr 2015 wird die Kulturstiftung DessauWörlitz mit der Präsentation im Gotischen Haus den vielfachen Ehrungen einen besonderen Akzent hinzufügen, denn sie wird sich am Originalschauplatz mit der im 18. Jahrhundert einsetzenden Rezeption dieser Kunst beschäftigen. Die frühe Verehrung der beiden Cranachs, des Hans Holbein d. J. und anderer berühmter altdeutscher und altniederländischer Meister im Gotischen Haus ist eine Besonderheit und von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Denn hier lässt sich erstmalig ein Interesse für diese Malerei nachweisen.
Die Cranach-Tagung
In Vorbereitung auf diese Präsentation lädt die Kulturstiftung DessauWörlitz nunmehr zu einer gemeinsam mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) konzipierten Tagung ein, die sich mit der Cranachrezeption am Ausgang des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Sammlungen des Gotischen Hauses beschäftigt. Anliegen ist es, der ausgesprochen frühen Rezeption dieser Werke weit vor ihrer Blüte im Zeitalter der Romantik nachzugehen. Architekturgeschichtliche, kunstgeschichtliche, historische und germanistische Aspekte sowie selbstverständlich das Werk der Cranachs werden während der Konferenz aus verschiedenen Blickwinkeln von namhaften Experten aus der Schweiz, Österreich, Großbritannien und natürlich Deutschland vorgetragen und diskutiert. Die Debatte soll helfen, die Einrichtung der wesentlichen Räume im Gotischen Haus so weit als möglich zu rekonstruieren. Mit Unterstützung der so gewonnenen Erkenntnisse soll der Besucher im kommenden Jahr an diesem außergewöhnlichen Ort erleben, wie sich bereits im 18. Jahrhundert die Annäherung an die alte Malerei und insbesondere die Kunst der Cranachs vollzogen hat. Einmalig ist die Einladung, anhand der dann teilweise mittels einer Eins-zu-eins-Fotorepräsentation rekonstruierten originalen Zusammenstellung der Kunstwerke den politischen und religiösen Intentionen des Fürsten nachzuspüren und sich einer Ausdeutung anzunähern.
Die öffentliche Tagung der KsDW findet vom 18. bis zum 20. September 2014 im Wörlitzer Gasthof „Zum Eichenkranz” statt. Sie wird unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Michael Wiemers (MLU), Prof. Dr. Andreas Pecar (MLU), Dr. Wolfgang Savelsberg (KsDW) und Reinhard Melzer (i. A. der KsDW) ausgerichtet. Die Teilnahme kostet 30 Euro, ermäßigt 15 Euro. Wegen der begrenzen Teilnehmerzahl wird um Anmeldung gebeten; entweder per E-Mail unter
ksdw@ksdw.de oder telefonisch unter 03 40–64 61 50.